Wir, die wir mit Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen mit einer FASD leben, wissen, wie wichtig die richtige Kommunikation ist. Ein falsches Wort zur falschen Zeit kann einen wunderschönen Tag in einem Fiasko enden lassen. Menschen mit FASD sind darauf angewiesen, klare und gut verständliche Botschaften zu erhalten. Viele von ihnen können Ironie oder Sarkasmus schwer einschätzen und eine flapsige Bemerkung, die eigentlich lustig und herzlich gemeint war, trifft das Gegenüber ins Mark. Wir wachsen stetig im Umgang mit dieser Behinderung und unsere Sprache tut es auch. Mit jeder missglückten Situation lernen wir und wissen es beim nächsten Mal besser; meistens jedenfalls. Wir gewöhnen uns an den teilweise derben Ton, der uns seitens unserer Kinder und Jugendlichen entgegenweht und auch Beschimpfungen versuchen wir so gut es geht nicht sonderlich persönlich zu nehmen. Das ist schon eine harte Sprachschule, durch die Familien mit von FASD betroffenen Kindern gehen. Wie färbt das auf uns ab? Wie switchen wir im Umgang mit anderen Menschen um? Tun wir es überhaupt immer?
Wie kommunizieren wir mit der Lehrer*in, mit den Ärzt*innen, mit den Sachbearbeiter*innen, Vormünder*innen und vielen mehr? Klar ist, wir alle kommunizieren stets und ständig. Mit und ohne Worten. Jeder Mensch bringt seine Erfahrungen, Wahrnehmungen und Bedürfnisse ein in seine Kommunikation und sein Gegenüber tut es ebenso.
Immer wieder erleben wir gerade in Bezug auf FASD, dass die Kommunikation als schwierig empfunden wird. Da gibt es Familien, die Kinder mit FASD betreuen und es eigentlich gar nicht anders kennen, als dass sie Verhaltensweisen, Benehmen und Emotionen ihrer Kinder/Jugendliche erklären und darlegen; in vielen verschiedenen Kontexten.
Da gibt es z. B. Sozialarbeiter*innen, die über langjährige Erfahrung verfügen, viel erreicht haben mit vielen Familien vor eben dieser jetzt vor ihr sitzenden Familie. Die Lage ist vielleicht gerade angespannt innerhalb der Familie. In der Schule klappt momentan nichts wirklich gut, Hobbies und Unternehmungen werden aktuell permanent von dem Kind verweigert und die Nahrungsaufnahme ist auch gerade katastrophal. Da sitzt dann die verzweifelte Familie auf der einen Seite mit der Erwartung an die Sozialarbeiter*in, dass diese nun eine zündende Idee oder gar eine aktive Hilfe anbietet und auf der anderen Seite die erfahrene Sozialarbeiterin, die aus ihrem Erfahrungsschatz heraus zielführende Vorschläge unterbreitet. Nun sind das vielleicht Vorschläge, die der Familie so gar nicht passen bzw. diese wiederum aus ihrer Erfahrung mit dem Kind heraus weiß, dass das mit allergrößter Wahrscheinlichkeit nicht klappen wird, da es häufig schon ausprobiert wurde. Schnell wird ein Tipp als Angriff gewertet und eine Gegenargumentation als Abwertung der Erfahrung wahrgenommen. Und schon ist das Gespräch in eine Schieflage geraten. Da kann ein gut gemeinter Satz wie: „vielleicht kochen sie ja mal zusammen mit Ihrem Kind eine tolle Gemüsesuppe?“ schon mal schnell die Zornesröte ins Gesicht der Mutter zaubern, die bisher nicht nur zig Suppen, sondern Pastasaucen sämtlicher Art, Aufläufe quer durch die Kochbücher der Nationen und Kartoffelgerichte sämtlicher Variationen für und mit ihrem Kind gekocht hat. Sie fühlt sich in ihrer Sorge um die einseitige Ernährung ihres Kindes nicht ernst genommen und macht innerlich dicht. Wie solche Gespräche enden, können wir uns alle vorstellen. Aber was ziehen sie nach sich in Bezug auf FASD und Pflegefamilien?
Oder wie oft erleben wir festgefahrene Kommunikation im Bereich Schule.
„Ja, das Kind müsste das jetzt langsam wissen, aber es weiß es trotzdem nicht, da es immer wieder auf Grund seiner geschädigten Hirnstrukturen vergisst.“ Diese Aussage impliziert für die Eltern, dass im Vorfeld eine Anschuldigung an das Kind (und vielleicht sogar auch an sie) gerichtet wurde. Vielleicht war es aber gar keine Anschuldigung, sondern einfach nur ein wenig Verzweiflung darüber, dass das Kind trotz intensivsten Einsatzes der Lehrkraft nicht verstanden hat, dass die Punktrechnung vor der Strichrechnung erfolgen muss.
Oder der Fall, dass verzweifelte Eltern in der Schule anbringen, dass der Druck zu groß sei und die Kinder zuhause zusammenbrechen und ihnen seitens der Schule entgegnet wird, dass es im Unterricht ganz wunderbar klappt mit den Aufgaben. Auch hier fühlen sich Eltern nicht verstanden und ernst genommen und die Lehrkraft erklärt lediglich, was sie wahrgenommen und erlebt hat. Ein Beispiel dafür, wie wichtig es ist, dass „Schule“ weiß, was es den Kindern abverlangt, mitzuhalten und zu funktionieren.
Hier könnte es hilfreich sein, Infomaterial speziell für Schule mitzubringen und freundlich um Kenntnisnahme zu bitten. Ebenso kann es hilfreich sein, einen Gesprächstermin zu vereinbaren und ganz in Ruhe gemeinsam einen Schulfahrplan zu erarbeiten, der für alle gut funktionieren kann, besonders für das Kind. So könnte auch für Kinder mit FASD Inklusion langsam besser gelingen.
Besonderheiten zeigen sich auch in der Kommunikation von den Menschen mit FASD. Sie verfügen meistens über gute sprachliche Kompetenzen. Leicht täuscht dieser Umstand über die Schwierigkeiten hinweg, die FASD mit sich bringt. Gedächtnislücken werden mit Phantasiegeschichten gefüllt oder Erlebnisse aus der Vergangenheit können ins Jetzt versetzt werden. Häufig wird von Kindern mit FASD (Bindungsstörung, Trauma etc.) berichtet, dass sie nichts zu essen bekämen, nie etwas zum Geburtstag bekommen oder immer in alten Sachen herumlaufen müssen. Teilweise werden Inhalte aus Gesprächen mit anderen Kindern oder Jugendlichen oder aus Filmen in die eigenen Geschichten verwoben und können zu dramatischen Schlussfolgerungen führen. Bei augenscheinlichen Gefährdungen durch die (Pflege-)Eltern ist unbedingt besondere Sorgfalt (sowieso) und das Hintergrundwissen zu FASD von Nöten um am Ende unabänderliche negative Konsequenzen für die Kinder/Jugendlichen und auch Familien zu vermeiden und stattdessen die Situation bedarfsgerecht aufzulösen.
Tatsächlich ist es von existenzieller Bedeutung, dass das Umfeld und alle für das Kind Verantwortlichen die Besonderheiten dieser Behinderung kennen. Insbesondere in den Bereichen, in denen schnell Vorfälle fehlinterpretiert werden könnten und am Ende augenscheinlich eine Kindeswohlgefährdung vorliegt. Hier gilt es genau zu zuhören und gemeinsam zu erarbeiten, was helfen könnte. Manchmal ist es schon hilfreich, wenn das Gegenüber einfach nur zuhört und sogar einräumt, auch keine wirklich rettende Idee zu haben, aber vielleicht für ein wenig mehr Entlastung sorgen könnte. Ebenso wichtig ist, dass der Respekt und die Achtung vor dem Schutzauftrag der Sachbearbeiterin in diesem Falle von der Familie entgegengebracht werden muss. Die Akzeptanz dessen, dass auch anderen Menschen am Wohl des Kindes liegt und auch diese das Beste für das Kind wollen, ist Grundvoraussetzung für ein zielführendes Gespräch und entsprechenden Hilfen. Ebenso wichtig ist das Wissen und Verständnis für die besondere Lebenssituation von Familien, die ein Kind bzw. Kinder mit FASD aufgenommen haben. Hier darf es nicht auf Grund von festgefahrenen Kommunikationen zu Entscheidungen kommen, die dem Wohl des Kindes nicht entsprechen bzw. diesem sogar abträglich sind. Von beiden Gesprächsparteien ist zu erwarten, sich aktiv um Hilfestellung hinsichtlich der Kommunikation zu bemühen und diese zu installieren.
Erfreulicherweise stelle ich fest, dass immer häufiger Informationen über FASD angefragt werden und das Thema dank zahlreicher engagierter Multiplikatoren Einzug in die entscheidenden Systeme erhält.
Nevim Krüger
Februar 2022